Zum 50. Todestag von Ingeborg Bachmann

Leseliste

Christine Bentz

Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt (Österreich) geboren und starb am 17. Oktober 1973 in Rom. Sie zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. 1953 erhielt Bachmann den Literaturpreis der Gruppe 47 für den Gedichtband Die gestundete Zeit. Seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen – eine der wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum.

Diese Leseliste soll anlässlich des 50. Todestages von Ingeborg Bachmann im Sinne einer Hommage Einblick in ihr literarisches Schaffen gewähren und zur weiteren Lektüre anregen. In ihrem Werk beschäftigt sie sich beispielsweise mit individuellem menschlichen Leiden, der Rolle der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft, den Auswirkungen von Krieg und Frieden. Von ihrem einzigartigen, vielschichtigen Werk, ihren Gedichten, Erzählungen, Romanprojekten, Hörspielen und Essays geht eine ungebrochene Strahlkraft aus.

Wenn ich aber schreibe, dann sehen Sie mich nicht, es sieht mich niemand dabei. Sie können einen Dirigenten sehen beim Dirigieren, einen Sänger beim Singen, einen Schauspieler, wenn er spielt, aber es kann niemand sehen, was Schreiben ist. Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran, und nur das Veröffentlichte, die Bücher, werden sozial, assoziierbar, finden einen Weg zu einem Du, mit der verzweifelt gesuchten und manchmal gewonnenen Wirklichkeit.
— Ingeborg Bachmann. Aus: Rede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises (1972)

Das dreißigste Jahr (Ingeborg Bachmann)

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Die Themen in Bachmanns 1961 erschienenem Erzählband, ihrer ersten Prosaarbeit, sind vielfältig: Es geht um Gewalt, Zerstörung und Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen, Liebe und Grenzüberschreitung sowie eine intensive Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dessen Nachwirken nach 1945. Der innere Zusammenhang der sieben Erzählungen ist offensichtlich: eine plötzliche Erkenntnis der Unzulänglichkeit der Welt und ihrer Ordnungen, wie Sprache, Recht, Politik, Geschlechterrolle, und der Versuch, die Utopie einer neuen besseren Ordnung zu entwerfen. Ihre Figuren verbindet das Leiden an der ungeheuerlichen Kränkung des Lebens und die Reise ins eigene Ich. Mit Versatzstücken der Alltagssprache, Redensarten und dem Verweis auf Mythen und Märchen entwirft Bachmann ein vielfältiges, poetisch verdichtetes Sprachbild und erreicht eine enorme erzählerische Kraft.

Die zwei aus einer explizit weiblichen Perspektive erzählten Geschichten Ein Schritt nach Gomorrha und Undine geht gehören außerdem zu den frühesten feministischen Äußerungen der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit.

„Wir haben es nicht gut gemacht.“ Der Briefwechsel (Ingeborg Bachmann / Max Frisch)

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Das Buch zeichnet das Bild einer intensiven Liebes- und Arbeitsbeziehung zweier Literaturschaffenden von Weltrang. In rund 300 überlieferten Schriftstücken erfährt man von aufeinander geworfenen Hoffnungen und dem Verzweifeln aneinander, von ihrer Selbsteinschätzung, ihrer Haltung zur Welt, ihrem Schmerz. Der Briefwechsel gilt als Urtext für alle literarischen Nachspiele des Beziehungsunheils von Frisch und Bachmann. Die Briefe sind intime Mitteilungen und zugleich von enormer literaturgeschichtlicher Bedeutung.

Das Buch Goldmann (Ingeborg Bachmann)

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Die Hauptfigur Fanny Goldmann und ihr Mann Harry Goldmann sind ein jüdisches Paar im Wien der Nachkriegszeit. Als der österreichische Jude 1945 aus dem Exil nach Wien zurückkehrt, ist dieses Österreich nicht mehr wiederzuerkennen; die Heimkehr wird zum Scheitern. Inmitten sozialer Gewalt und den moralischen Verbrechen innerhalb der Gesellschaft wird die gestörte politische Kommunikation zur wesentlichen Ursache von Harrys und Fannys Unglück.

Geprägt von einer Österreich-Sehnsucht, deren Intensität sich aus der Zeit nach dem Krieg und nach der Shoah speist, ist Bachmanns tragisch-komischem Zeitroman auch eine kritische Dimension eingeschrieben. Die Fragment gebliebene Geschichte von Fanny und Harry bzw. Ernst Goldmann steht paradigmatisch für eine missglückte Rückkehr ins postnazistische Österreich.

 

Kritische Schriften (Ingeborg Bachmann)

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Wachheit und Erinnerung und Klarheit sind vonnöten, und je klarer wir uns ausdrücken, desto dichterischer werden wir sein. Auf dem Grund ist Dunkelheit genug und Unsagbares, und Schreiben ist neben anderem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit.

Bachmanns theoretische Schriften, gemeint sind die bis zu ihrem Tod im Jahr 1973 veröffentlichten sowie nachgelassenen Rezensionen, Essays, Reden, Vorlesungen, Aufzeichnungen und Entwürfe zu Fragen der Literatur, Philosophie, Politik, Musik und Kultur, belegen nicht zuletzt eindrucksvoll Bachmanns unermüdliche Suche nach der Stringenz ihrer Gedanken, nach noch mehr Klarheit und Präzision, nach der Kongruenz von Inhalt und Form. In ganz eigenem Duktus geben sie ein eindrucksvolles Zeugnis ihrer großen Belesenheit.

Sämtliche Gedichte (Ingeborg Bachmann)

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Sämtliche Gedichte umfasst das lyrische Werk Ingeborg Bachmanns von ihren Jugendgedichten, über den Band Die gestundete Zeit (1953) bis zur Anrufung des Großen Bären (1956). Diese formvollendeten und einen neuen Ton anschlagenden Gedichte begründeten Bachmanns Ruhm und waren der Ausgangspunkt eines facettenreichen literarischen Schaffens. Sie gehören zu den großen dichterischen Leistungen des 20. Jahrhunderts.

Die frühen Gedichte sind getragen von Erfahrungen der Ohnmacht, der Entfremdung und Vereinsamung des Menschen. Auch in dem Band Die gestundete Zeit dominiert das gestaltete Erleben einer Endzeit, doch bekundet sich hier auch eine Haltung des Widerstands. In einigen Gedichten der Anrufung des Großen Bären ist ein optimistischeres Wirklichkeitsverständnis spürbar. Diese Gedichte nähern sich in radikaler Offenheit Themen wie Liebe, Selbstbestimmung, Verantwortung und Utopie und entfalten sie mit denkerischer Kühnheit und bemerkenswerter Formsicherheit in beeindruckenden Klangbildern.

Fragil, sensibel, sinnlich und abstrakt zugleich kann Bachmanns Lyrik auch als Anleitung für eine neue, empfindsamere Betrachtung der Welt gelesen werden.

Kriegstagebuch. Mit Briefen von Jack Hamesh (Ingeborg Bachmann)

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Es ist der schönste Sommer meines Lebens […]. Vom Frieden merkt man nicht viel, sagen alle, aber für mich ist Frieden, Frieden!

1945, unmittelbar nach dem Kriegsende, notiert die achtzehnjährige Ingeborg Bachmann diese Zeilen in ihrem Tagebuch. Die Aufzeichnungen liefern ein historisch subjektives Bild vom Krieg und dessen Ende. Aus ihnen sprechen die Abscheu vor der NS-Ideologie und die Erleichterung über das Ende der Naziherrschaft. Grund für den euphorischen Ton ist außerdem Bachmanns tiefe Verbundenheit mit dem britischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh, einem Wiener Juden, dem 1938 die Emigration gelang. 

Durch Dich erst sah ich dass es doch noch wert ist an Menschen zu glauben. Nicht an alle, an wenige an einzelne an Dich.

In berührenden Briefen schildert der 1946 nach Palästina ausgewanderte Jack Hamesh Gefühle der Einsamkeit, der Existenzangst und der Entwurzelung. Bachmann verkörpert für ihn seine ursprüngliche Heimat, wobei die Shoah, sein eigenes jüdisches Schicksal und die Beteiligung der Mehrheit seiner Landsleute an dieser Verfolgung ihn in seinem Heimatgefühl nicht zu irritieren scheinen.

Bachmanns Tagebuchaufzeichnungen und die berührenden Briefe Jack Hameshs machen das Buch zu einem beeindruckenden zeitgeschichtlichen Dokument.

Malina (Ingeborg Bachmann)

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Ab 1962 beschäftigt sich Ingeborg Bachmann mit dem sogenannten Todesarten-Projekt, aus dem neben mehreren Fragmenten (Das Buch Franza, Requiem für Fanny Goldmann) der 1971 publizierte Roman Malina stammt. In einer Zeit jahrelanger Leiden, zahlreicher Klinikaufenthalte und einer starken Tabletten- und Alkoholsucht verarbeitet sie in Malina wohl so persönlich wie in keinem ihrer anderen Werke autobiografische Erlebnisse und Erfahrungen.

Vordergründig handelt das Buch von einer Dreiecksbeziehung zwischen der namenlosen Ich-Erzählerin und zwei Männern: dem schönen Liebhaber Ivan und ihrem Lebensgefährten Malina. Die Figuren agieren nicht autonom, sondern sind in einem dichten, vielstimmigen Gewebe miteinander verbunden. Das erzählende Ich erlebt die Zerrissenheit zwischen zwei Prinzipien, männlich und weiblich, die nicht gleichberechtigt nebeneinanderstehen können, weil die herrschende Geschlechterordnung als unumstößlich gilt.

Das Ich wird zum Opfer einer destruktiven Gewalt, der es aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen und dem damit einhergehenden Verlust seiner Identität nichts entgegensetzen kann.

Die Lektüre von Malina fesselt, sie wühlt auf und wird trotz des erschütternden Inhalts durch die außergewöhnliche Sprachgewalt der Autorin zu einem literarischen Genuss.

Ingeborg Bachmann, meine Schwester (Heinz Bachmann)

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Anlässlich ihres 50. Todestages veröffentlichte Heinz Bachmann, der 13 Jahre jüngere Bruder – als einer der letzten Zeitzeugen, die sie noch gekannt haben – private Erinnerungen an seine geliebte Schwester Ingeborg Bachmann.

Schon früh sei der Familie klar gewesen, dass Ingeborg etwas Besonderes war, so ihr Bruder Heinz. Dabei stieß die Ratlosigkeit, mit der die Schwester ihr Leben zwischen Wien, Paris, Zürich und Rom führte, in der Familie auf ebenso große Anteilnahme wie ihr zunehmender literarischer Ruhm und ihre engen Beziehungen mit Schwergewichten der deutschsprachigen Literaturlandschaft.

Bachmanns tragischer Unfalltod und die Trauer, die die ganze Familie erfasste, kommen ebenfalls zur Sprache. „Unser Leben ohne Ingeborg wird bis heute von ihr und ihrem Schreiben stark beeinflusst. Ihr Schreiben verbindet uns auf immer“, schließt er. „Fünfzig Jahre sind seit diesem Verlust vergangen, aber Ingeborg ist jeden Tag bei uns.“

Ohne zu idealisieren, ermöglicht Heinz Bachmann mit seinem sachlich-nüchtern und dennoch liebevoll abgefassten Bericht eine wohltuende Reise auf den Spuren Ingeborg Bachmanns.

Titelbild: Piper Verlag

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